Wahrheit oder Wohlklang? Über den feinen Unterschied zwischen dem, was wir hören wollen – und dem, was wir hören sollten

Veröffentlicht am 9. April 2025 um 11:51

In einer Welt voller Meinungen, Erwartungen und Emotionen wird Wahrheit oft zum schmalen Grat zwischen Klarheit und Kränkung. Besonders im sensiblen Kontext des Immobilienverkaufs zeigt sich: Was wir hören wollen, ist nicht immer das, was wir hören sollten.

Wir alle wünschen sie uns. Wir alle fordern sie ein. Und wir alle glauben, bereit für sie zu sein: die Wahrheit.

Ob im persönlichen Miteinander, in beruflichen Beziehungen oder in Momenten großer Entscheidungen – wie etwa beim Verkauf einer Immobilie – Ehrlichkeit gilt als Tugend, als Fundament für Vertrauen und als Zeichen echter Professionalität. Doch was passiert, wenn die Wahrheit nicht dem entspricht, was wir erhofft haben?

Ein Spiegelbild ohne Illusion

Es gibt diesen schönen Vergleich aus der Natur: Ein Spiegel auf glatter See zeigt uns, was ist. Kein Wunschbild, keine Illusion – nur reine Reflexion.* Doch wehe, der Wind frischt auf und wirft Wellen über das Wasser. Plötzlich beginnt das Bild zu tanzen, wir erkennen nicht mehr klar – und das, was vorher deutlich war, wird zu etwas, das uns verunsichert. Die Wahrheit, wenn sie nicht unserer Vorstellung entspricht, fühlt sich oft genauso an: unruhig, störend, manchmal sogar unbequem.

Emotionen treffen auf Marktlogik

So ist es auch im Immobilienverkauf. Eigentümerinnen und Eigentümer leben oft seit Jahren in ihren vier Wänden. Sie haben nicht nur Räume geschaffen, sondern Heimat. Nicht nur Mauern gebaut, sondern Erinnerungen. Der Wert ihrer Immobilie ist für sie kein nüchternes Zahlenspiel – sondern ein Kapitel ihres Lebens. Und dann kommen wir: Makler:innen.

Mit Daten, Marktanalysen, Quadratmeterpreisen, Verkaufsvergleichen und Erfahrung im Gepäck. Mit ehrlichen Einschätzungen, oft jenseits der emotionalen Wahrnehmung. Und obwohl unsere Expertise angefragt wurde – obwohl objektive Wahrheit gewünscht ist – zeigt sich häufig, dass man insgeheim auf eine Bestätigung gehofft hat. Auf ein "Ja, Ihr Gefühl stimmt, Sie liegen genau richtig." Doch was, wenn wir sagen: "Nein, so leid es uns tut, aber der Markt sieht es anders"?Dann kippt das Gespräch manchmal. Die offenen Ohren schließen sich. Der professionelle Dialog wird zum inneren Monolog – und wir werden plötzlich vom Experten zur Projektionsfläche.

Die Größe, Wahrheit anzunehmen

Warum prallen diese Welten so oft aufeinander? Vielleicht, weil Wahrheit und Wunsch selten Hand in Hand gehen. Weil wir in der Tiefe nach Harmonie streben – aber Wahrheit manchmal Dissonanz erzeugt. Dabei liegt gerade hier die wahre Größe: Die Fähigkeit, eine unbequeme Wahrheit mit offenem Herzen anzunehmen, ist ein Zeichen von Reife, Mut – und Vertrauen. Vertrauen in die Menschen, die ihre Aufgabe mit Verantwortung, Transparenz und Ehrlichkeit erfüllen. Vertrauen in einen Prozess, der nicht immer angenehm, aber letztlich richtig ist.

Letztlich ist es wie beim Schneider: Wer ein maßgeschneidertes Kleidungsstück will, muss seine echten Maße kennen. Selbst wenn diese Maße nicht dem Idealbild entsprechen, das wir uns im Kopf zurechtgelegt haben. Nur auf der Basis der wirklichen Maße entsteht ein Kleidungsstück, das wirklich passt. So ist es auch beim Immobilienpreis: Nur wer die echten Zahlen kennt – und akzeptiert – kann die Entscheidung treffen, die einen wirklich voranbringt.

Deshalb: Lasst uns die Wahrheit nicht als kalten Schock betrachten, sondern als liebevolle Einladung, die Realität mit offenem Blick zu sehen. Lasst uns Expertinnen vertrauen, die nicht nach dem Mund reden, sondern auf Augenhöhe beraten. Und lasst uns als Branche weiterhin mit Herz, Verstand und Ehrlichkeit auftreten – auch wenn das bedeutet, unbequeme Wahrheiten auszusprechen.

Denn am Ende ist genau das unsere Aufgabe: Nicht zu sagen, was man hören will – sondern zu sagen, was man wissen muss. Und genau darin liegt unsere größte Stärke.

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